Am 23.02.2012 hatten wir im Centro Sociale die Veranstaltung „Gewalt – Macht – Sinn – Das Hamburger ‚Handlungskonzept gegen Jugendgewalt‘: (Was) Hat das mit Sozialer Arbeit zu tun?“ organisiert.
Im Anschluss daran haben wir einen 24-seitigen Reader erstellt. Darin sind folgende Artikel von Tilman Lutz, Benedikt Sturzenhecker, Martin Karolczak, Janne Braband und Timm Kunstreich, die im Zusammenhang mit dem Thema stehen, gesammelt:
- Tilman Lutz: Gefährdete oder gefährliche Jugendliche?
- Benedikt Sturzenhecker, Martin Karolczak, Janne Braband: Ergebnisse der Evaluation der „Gemeinsamen Fallkonferenzen“ im Rahmen des Hamburger Handlungskonzepts „Handeln gegen Jugendgewalt“
- Timm Kunstreich: GEWALT MACHT SINN – Einige Überlegungen zu sozialpädagogischen Handlungsstrategien in der Jugendarbeit
Der Reader steht über folgenden Link als 24-seitiges PDF-Dokument zur Verfügung:
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Wir wünschen eine interessante Lektüre!
Hier die Einleitung als Leseprobe:
Mit Blick auf die vergangenen zehn/zwanzig Jahre ist ein Rückgang der Gewaltkriminalität bei Jugendlichen festzustellen. Gleichwohl steigt aber – aus verschiedenen Gründen – die „gefühlte Kriminalitätstemperatur“ (so die Formulierung von Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut) der Bevölkerung. Von einer Mehrzahl der Menschen wird davon ausgegangen, dass die Bedrohung durch gewalttätige Jugendliche zunehmen würde, obwohl die entsprechenden Kriminalitätsraten stabil bleiben oder trotz gestiegener Anzeigebereitschaft zurückgehen.
Damit im Zusammenhang steht eine zunehmende Ausrichtung sowohl von Polizei als auch von Sozialer Arbeit auf Prävention – will sagen Kriminalitätsprävention, nicht etwa Armuts- oder Unsicherheitsprävention. Die Aufgabenprofile von Polizei und Jugendhilfe werden dabei mehr und mehr zum Verschwimmen gebracht.
Die Obachtliste
Ein Beispiel aus Hamburg, an dem dies deutlich wird, ist die so genannte „Obachtliste Gewalt unter 21“, auch bekannt als „Ampel-System“ von der Ende vergangenen Jahres in Folge einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion auch in der taz berichtet worden war. Diese zentrale Datei wird von der Hamburger Polizei, genauer: der „Koordinierungsstelle für die behördenübergreifende Beobachtung von delinquenten Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden“ seit September 2011 geführt. Die genannte „Koordinierungsstelle“ existiert seit Juli 2011 und ist im Präsidialstab 3 der Hamburger Polizei angesiedelt. Aufgabe dieses Präsidialstabes ist die „Koordination der zwischen den Behörden abgesprochenen Maßnahmen“ gegenüber delinquenten Jugendlichen „sowie die Durchführung von Fallkonferenzen“, die Teil des Handlungskonzepts gegen Jugendgewalt sind.
Ende Oktober 2011 waren die Daten von 10 Kindern, 135 Jugendlichen und 144 Heranwachsenden in der Obachtliste gespeichert. An der Datensammlung beteiligt sind die Dienststellen der Behörde für Schule und Berufbildung, insbesondere Schulen sowie die Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS) bzw. die Beratungsstelle Gewaltprävention, sowie Dienststellen der Jugendhilfe, insbesondere das Familieninterventionsteam (FIT) und gegebenenfalls der Allgemeine Soziale Dienst (ASD). Darüber hinaus sind an der polizeilichen Datensammlung auch die Jugendgerichtshilfe und die Jugendbewährungshilfe, alle Dienststellen der Polizei sowie die Staatsanwaltschaft beteiligt.
Pikantes Detail dieser Praxis ist die fehlende Rechtsgrundlage für die Datensammlung. Eine Errichtungsverordnung, die rechtlich für die Datensammlung nötig wäre, existiert nicht, so dass sie de facto rechtswidrig betrieben wird. Das nur als ein aktuelles Beispiel dafür, wie die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe der Polizei unterstellt wird und dazu aufgefordert wird, den Repressionsorganen zuzuarbeiten. Diese Entwicklung war für uns Anlass uns – zunächst mit dieser Veranstaltung – in die öffentliche Debatte einzumischen und sie insbesondere unter den betroffenen Fachkräften anzuregen und voranzubringen.
Das Handlungskonzept – Herausforderung für die Soziale Arbeit
Das ‚Handlungskonzept gegen Jugendgewalt‘ ist in erster Linie ordnungspolitisch ausgerichtet – und das gilt auch für diejenigen Maßnahmen, die explizit erzieherischer Art sind, wie z.B. Cool in School, oder aber direkte Auswirkungen auf pädagogische Arbeit haben, wie z.B. die Arbeit des Cop4U, der von Lehrerinnen gerne mal als „unser Sozialpädagoge“ bezeichnet wird.
Es drängt sich die Frage auf, wer hier eigentliche welche Handlungsanforderung an die Soziale Arbeit gibt und welche wir uns (noch?) selbst geben. Wir hoffen, mit diesem Reader weiterführendes Material für die Diskussion der Frage zur Verfügung zu stellen, wie sich diese Programmatik mit sozialpädagogischen Handlungsstrategien verträgt, die auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet sind.
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